26. Oktober 2008
Lehrhaus zum Thema: "Impressionen aus Czernowitz - die Stadt gesehen durch die Augen ihrer Dichter"
Veranstaltung mit Dr. Cordula Tollmien
Über die Veranstaltung:
Dr. Cordula Tollmien, die im Juli Czernowitz mit einer Gruppe der Rose-Ausländer-Stiftung besucht hatte, berichtete
eindrucksvoll von ihren „Impressionen aus Czernowitz" – einem Ort, wo „Menschen und Bücher lebten". Sie führte in die
Geschichte dieser in der Vergangenheit multikulturellen Stadt ein, in der lange Zeit Juden die Mehrheit der Bevölkerung
waren – Juden, die die deutsche Sprache als Kultur- und Muttersprache empfanden und im 20.Jahrhundert in eben dieser
Sprache auch Gedichte und Prosa schrieben. Die Stadt gehörte zu Österreich-Ungarn, nach dem 1. Weltkrieg zu Rumänien,
Anfang der 40er Jahre gaben Truppen der Sowjetunion ein kurzes Gastspiel, das mit Deportationen von „Kapitalisten"
verbunden war, danach wurde die jüdische Bevölkerung von deutschen Nazis in Zusammenarbeit mit der „Eisernen Garde"
Antonescus deportiert, meist in Lager nach Transnistrien, in denen nur wenige überlebten.
Nach Ende des 2. Weltkrieges lebte von der früheren Bevölkerung - Juden, Deutsche, Ruthenen – kaum noch ein Mensch in
Czernowitz, das nun zur Sowjetunion zugeschlagen wurde und heute zur Ukraine gehört. Es wurden Menschen aus dem Osten der
Ukraine angesiedelt, die von der Geschichte der Stadt Czernowitz und ihrer Menschen nichts wussten.
Bestehen blieb die Architektur, wie Cordula Tollmien uns anhand von Bildern und Fotos aus Czernowitz einst und jetzt auf der
Leinwand zeigte.
Die Dichter, die einst in Czernowitz gelebt hatten, kehrten nicht zurück, sondern blieben im „Ausland", soweit sie überlebt
hatten. Czernowitz blieb aber – auch in ihren Gedichten – ein Sehnsuchtsort.
Nach der Pause lasen wir gemeinsam eine Auswahl von Texten von Dichtern und Schriftstellern aus Czernowitz, so von Rose
Ausländer, Paul Celan, die in deutscher Sprache schrieben, und den jiddischsprachigen Dichtern Elieser Steinbarg und Itzig Manger.
Die Veranstaltung war auf großes Interesse gestoßen, bis zur Pause waren über 32 Personen anwesend, nur wenige gingen nach der Pause.
Cordula Tollmien ist es gelungen, ein sehr komplexes Thema in wenigen Stunden anschaulich zu machen-, ich denke, dass nicht
nur bei mir, sondern auch bei anderen Teilnehmern Interesse und Lust an mehr Wissen und Lektüre geweckt oder erneuert wurde.
Cornelia Stocker„ M.A.
Über Czernowitz
Czernowitz ist heute den meisten nur als Geburtsstadt von Paul Celan bekannt, vielleicht denken einige auch noch an Rose
Ausländer, die dieser Stadt am Pruth in vielen ihrer Gedichten ein Denkmal gesetzt hat. Die wenigsten aber wissen, dass
das ursprünglich in Österreich-Ungarn gelegene Czernowitz, das nach dem ersten Weltkrieg rumänisch wurde und heute zur
Ukraine gehört, seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein kosmopolitisches Literaturzentrum war, in dem die deutschsprachige
Literatur eine führende Rolle spielte. Aus der Vielzahl der deutschschreibenden Schriftsteller und Dichter, die in dieser
Stadt geboren wurden oder gewirkt haben, seien hier nur Karl Emil Franzos, Alfred Margul-Sperber, Moses Rosenkranz, Klara
Blum, Alfred Kittner, Immanuel Weißglas, Alfred Gong und Selma Meerbaum-Eisinger genannt. Mehrheitlich stammten diese
Dichter und Dichterinnen (wie alle hier genannten) aus jüdischen Familien. In den Zwanziger Jahren entstand in der
inzwischen in Cernauti umbenannten Stadt zudem eine lebendige jiddischsprachige Literaturszene, zu der Elieser Steinbarg,
Itzig Manger und Josef Burg gehörten.
In diesem Lehrhaus werden wir uns mit der Geschichte und den Bildern dieser Stadt beschäftigen, wie wir sie in den Texten
ihrer Dichter und Dichterinnen finden.
Das Rathaus von Czernowitz
Das Theater von Czernowitz
Theaterplatz in Czernowitz, im Hintergrund rechts das Jüdische Haus
Jüdischer Friedhof in Czernowitz
Fotos Cordula Tollmien Juli 2008
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