Franz Rosenzweig an Margrit Rosenstock,
28. Mai 1918:
"Dir muss ich noch ganz rasch etwas von Warschau schreiben: ich fand die erste jüdische Bibelübersetzung und Gebetbuchsübersetzung - und natürlich eine Übersetzung ins Jüdische; wie hätte es anders sein können. Ein Gebetbuch mit den Psalmen drin; die paar Stellen, die ich suchte, waren so erschütternd jüdisches Deutsch, dass ich es gleich kaufte. Niemand weiss von wem die Übersetzung ist; ich habe viele Leute gefragt. Ich glaube es ist das - kennst du Luthers Traktat vom Dolmetschen? (Reklam!) (ganz kurz).
Da schimpft er auf die "Esel" die gratia plena übersetzen "voller Gnaden", man müsse der Mutter und dem Kinde auf der Gasse aufs Maul kucken und übersetzen: gegrüsst sei du liebe Maria. Aber er selber als es Ernst wurde übersetzte dennoch, sehr sprachmeisterlich, aber eben Meister, nicht mehr Volk,: du Holdselige. Hier aber ist die Übersetzung ganz Volk geblieben, ganz "Gasse" und "Stübel". Es ist so selbstverständlich, dass es das geben musste, und doch war ich nicht darauf gekommen."