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Freund und Feind
Die "Mosaische Unterscheidung": Jan Assmann in der Diskussion mit Eveline Goodman-Thau
VON THOMAS MEYER

Seit sieben Jahren beherrscht der Begriff "Mosaische Unterscheidung" die Debatten um den Monotheismus. Sein Schöpfer, der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann, hatte damit etwas "radikal Neues" beschreiben wollen: Das Judentum habe mit Moses erstmals zwischen "wahrer" und "unwahrer" Religion unterschieden. In dieser Differenz liege Segen und Fluch zugleich, denn der "wahre" Glaube habe das Reich der Freiheit geöffnet, während der Ausschluss der Ungläubigen Intoleranz und Gewalt hervorgebracht habe. Nirgends werde die Ambivalenz der "Unterscheidung" offensichtlicher als in der Geschichte von der Offenbarung am Berg Sinai und dem im Tal stattfindenden Tanz um das goldene Kalb. Denn nachdem Moses von Gott mit den Zehn Geboten eine erste Ethik empfangen hatte, erging der Befehl, 3 000 Abtrünnige zu töten.

Assmanns Thesen haben für so viel Wirbel gesorgt, dass er vergangenes Jahr das Buch Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus zur Klärung nachschob. Doch der massive Vorwurf, er laste dem Judentum selbst die Schuld für die erlittene Verfolgungs- und Vernichtungsgeschichte auf, verstummten nicht.

Jetzt hat Assmann in der Evangelischen Stadtakademie in München mit der Kulturphilosophin und Rabbinerin Eveline Goodman-Thau über die Konsequenzen der "Mosaischen Unterscheidung" diskutiert. Assmann nutzte in einem ersten Schritt die Gelegenheit zur Entschärfung der Debatte: Er habe stets nur über einen Text gesprochen, der in der jüdischen Tradition als "performativ", das heißt als unveränderbar gelte. Der unveränderbare Text jedoch habe eine Wendung in die Welt gebracht, die sich nur in "Schüben" mitteile. Die Tradition des Judentums habe sich zwar erfolgreich bemüht, die "Mosaische Unterscheidung" zu "verklären", gleichwohl sei die darin vorgenommene Differenzierung in "Freund" und "Feind" noch nicht radikal genug bedacht. Gerade die gegenwärtige Krise des monotheistischen Islam zeige, dass die eigene Gewaltgeschichte unbearbeitet sei.

Goodman-Thau wies das Konstrukt der "Mosaischen Unterscheidung" entschieden zurück und bestand stattdessen darauf, von einer "Entscheidung" zu sprechen. Gott habe mit der Offenbarung es dem Menschen überlassen, in Verantwortung gegenüber sich selbst und den Anderen sein Leben zu gestalten. "Jüdisches Denken" geschehe immer in einer Welt ohne Gott, der der Gott aller Menschen sei. Insofern habe die Menschheit keinen "Preis" für den Monotheismus gezahlt, sondern diesen letzteren als "Herausforderung" begreifen müssen. Darüber hinaus zeigte sie sich erstaunt, dass Assmann bei dem Versuch, die Ursprünge von Freiheit und Gewalt im Monotheismus ausmachen zu wollen, indirekt die Vorstellung vom alttestamentarischen "rächenden" Gott wieder aufgreife.

Im Gegenzug verwies Assmann deutlicher als je zuvor auf sein Erkenntnisinteresse: Er wolle den Sinn schärfen für den "revolutionären" Befund, dass die "Kultur", ganz im Gegensatz zur "Natur", doch "Sprünge mache", also schon in ihren Anfängen nicht in einer harmonischen Erzählung aufgehe. Und mehr noch: Fortschritte in der Geistigkeit der Menschheit könnten nicht ohne die Kostenseite betrachtet werden. Gleichzeitig gelte natürlich, dass man aus der Geschichte der "Mosaischen Unterscheidung" nicht aussteigen könne, sondern gerade durch ihre ständige Befragung zur Loslösung alter Konfliktschemata beitragen müsse.

Goodman-Thau erkannte in Assmanns Beschreibungen und Wertungen das Judentum nicht wieder. Gerade die Tora erweise sich durch die permanente Auslegung der Rabbiner als ein dynamischer Text, der nie zur Ruhe komme. Daher sei es falsch, die Bewegung für einen Moment anzuhalten, um den Kern der vermeintlichen "Mosaischen Unterscheidung" ein für alle Mal festzuschreiben. In der dreistündigen Debatte war trotz des gegenseitigen Bemühens ein Konsens nicht herstellbar. Assmann glaubt weiterhin, in seinen kulturwissenschaftlichen Reflexionen nicht auf religiöse Überzeugungen rekurrieren zu müssen. Die Rabbinerin Goodman-Thau war hingegen mit dieser a-religiösen Interpretation des Judentums nicht einverstanden. Künftige Gespräche dürften daher schwierig werden, aber sie müssen des jüdischen Erbes wegen unbedingt stattfinden.



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Dokument erstellt am 25.07.2004 um 17:12:53 Uhr
Erscheinungsdatum 26.07.2004