URL:
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=476720
Freund
und Feind
Die
"Mosaische Unterscheidung": Jan Assmann in der Diskussion mit Eveline
Goodman-Thau
VON
THOMAS MEYER

Seit sieben Jahren
beherrscht der Begriff "Mosaische Unterscheidung" die Debatten um den
Monotheismus. Sein Schöpfer, der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann, hatte
damit etwas "radikal Neues" beschreiben wollen: Das Judentum habe mit Moses
erstmals zwischen "wahrer" und "unwahrer" Religion unterschieden. In dieser
Differenz liege Segen und Fluch zugleich, denn der "wahre" Glaube habe das Reich
der Freiheit geöffnet, während der Ausschluss der Ungläubigen Intoleranz und
Gewalt hervorgebracht habe. Nirgends werde die Ambivalenz der "Unterscheidung"
offensichtlicher als in der Geschichte von der Offenbarung am Berg Sinai und dem
im Tal stattfindenden Tanz um das goldene Kalb. Denn nachdem Moses von Gott mit
den Zehn Geboten eine erste Ethik empfangen hatte, erging der Befehl, 3 000
Abtrünnige zu töten.
Assmanns Thesen haben für so viel Wirbel gesorgt,
dass er vergangenes Jahr das Buch Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis
des Monotheismus zur Klärung nachschob. Doch der massive Vorwurf, er laste
dem Judentum selbst die Schuld für die erlittene Verfolgungs- und
Vernichtungsgeschichte auf, verstummten nicht.
Jetzt hat Assmann in der
Evangelischen Stadtakademie in München mit der Kulturphilosophin und Rabbinerin
Eveline Goodman-Thau über die Konsequenzen der "Mosaischen Unterscheidung"
diskutiert. Assmann nutzte in einem ersten Schritt die Gelegenheit zur
Entschärfung der Debatte: Er habe stets nur über einen Text gesprochen, der in
der jüdischen Tradition als "performativ", das heißt als unveränderbar gelte.
Der unveränderbare Text jedoch habe eine Wendung in die Welt gebracht, die sich
nur in "Schüben" mitteile. Die Tradition des Judentums habe sich zwar
erfolgreich bemüht, die "Mosaische Unterscheidung" zu "verklären", gleichwohl
sei die darin vorgenommene Differenzierung in "Freund" und "Feind" noch nicht
radikal genug bedacht. Gerade die gegenwärtige Krise des monotheistischen Islam
zeige, dass die eigene Gewaltgeschichte unbearbeitet sei.
Goodman-Thau
wies das Konstrukt der "Mosaischen Unterscheidung" entschieden zurück und
bestand stattdessen darauf, von einer "Entscheidung" zu sprechen. Gott habe mit
der Offenbarung es dem Menschen überlassen, in Verantwortung gegenüber sich
selbst und den Anderen sein Leben zu gestalten. "Jüdisches Denken" geschehe
immer in einer Welt ohne Gott, der der Gott aller Menschen sei. Insofern habe
die Menschheit keinen "Preis" für den Monotheismus gezahlt, sondern diesen
letzteren als "Herausforderung" begreifen müssen. Darüber hinaus zeigte sie sich
erstaunt, dass Assmann bei dem Versuch, die Ursprünge von Freiheit und Gewalt im
Monotheismus ausmachen zu wollen, indirekt die Vorstellung vom
alttestamentarischen "rächenden" Gott wieder aufgreife.
Im Gegenzug
verwies Assmann deutlicher als je zuvor auf sein Erkenntnisinteresse: Er wolle
den Sinn schärfen für den "revolutionären" Befund, dass die "Kultur", ganz im
Gegensatz zur "Natur", doch "Sprünge mache", also schon in ihren Anfängen nicht
in einer harmonischen Erzählung aufgehe. Und mehr noch: Fortschritte in der
Geistigkeit der Menschheit könnten nicht ohne die Kostenseite betrachtet werden.
Gleichzeitig gelte natürlich, dass man aus der Geschichte der "Mosaischen
Unterscheidung" nicht aussteigen könne, sondern gerade durch ihre ständige
Befragung zur Loslösung alter Konfliktschemata beitragen
müsse.
Goodman-Thau erkannte in Assmanns Beschreibungen und Wertungen das
Judentum nicht wieder. Gerade die Tora erweise sich durch die permanente
Auslegung der Rabbiner als ein dynamischer Text, der nie zur Ruhe komme. Daher
sei es falsch, die Bewegung für einen Moment anzuhalten, um den Kern der
vermeintlichen "Mosaischen Unterscheidung" ein für alle Mal festzuschreiben. In
der dreistündigen Debatte war trotz des gegenseitigen Bemühens ein Konsens nicht
herstellbar. Assmann glaubt weiterhin, in seinen kulturwissenschaftlichen
Reflexionen nicht auf religiöse Überzeugungen rekurrieren zu müssen. Die
Rabbinerin Goodman-Thau war hingegen mit dieser a-religiösen Interpretation des
Judentums nicht einverstanden. Künftige Gespräche dürften daher schwierig
werden, aber sie müssen des jüdischen Erbes wegen unbedingt stattfinden.
[ document info
]
Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am
25.07.2004 um 17:12:53 Uhr
Erscheinungsdatum 26.07.2004
